Was ist eigentlich Ergotherapie…. Fallbeispiele

  • Tom (34 Jahre alt) hat kürzlich die Diagnose ADHS erhalten. Heute bringt er seinen Sohn Jan zur Kita. Gerade noch rechtzeitig schaffen sie es aus dem Haus - als ihm in den Sinn kommt, dass er Jans Ersatzkleider zu Hause liegenlassen hat. Sie kehren eilig nochmals um und erscheinen dann kurz nach Ende der Auffangzeit in der Kita. Tom rennt gleich weiter zum Bahnhof, um zu seinem Arbeitsort zu pendeln. Er ist Schreiner und muss heute noch ein Möbelstück fertigstellen. Der Zeitdruck setzt ihn bereits jetzt enorm unter Stress, da er wie jeden Tag nicht weiss, inwiefern er sich heute auf seine Konzentrationsfähigkeit verlassen kann. Auf die Arbeit am Möbelstück freut er sich, er hat von seinem Chef freie Hand bezüglich Design und Planung erhalten, die kreative Tätigkeit liegt ihm sehr. Im Zug versucht er sich mit seinen Noise Cancelling Kopfhörern etwas vom Pendlerlärm abzuschirmen und zur Ruhe zu kommen, im Wissen, dass ihn die morgendlichen Geräusche an schlechten Tagen jeweils fast in den Wahnsinn treiben. In der Werkstatt stellt sich heraus, dass sein gesprächiger Arbeitskollege krank ist. Tom ist erleichtert, so lässt er sich erfahrungsgemäss weniger ablenken und schafft es eher, an seiner Aufgabe dranzubleiben. In der Tat gelingt es ihm sogar, in eine Art flow zu geraten beim Arbeiten und mit ein wenig Überzeit schafft er das Möbelstück fertig. Zu essen und Pause zu machen vergisst er dabei völlig. Auf dem Nachhauseweg telefoniert er rasch der Kita, um seine 5min Verspätung anzumelden. Als er das Handy wieder in seine Jacke stecken will, checkt er kurz seinen Kalender und stellt völlig überrascht fest, dass seine Deadline für die Fertigstellung des Möbelstücks doch erst nächste Woche gewesen wäre.
    So sehen Toms Tage oft aus. Immer leicht gestresst und gehetzt, vieles geht vergessen, es gelingt ihm aber doch meistens, mit etwas Charme und akutem Organisationstalent schlussendlich irgendwie zum Ziel zu kommen. Leider geht dabei viel Energie verloren und oft bleiben eine Prise Enttäuschung, Frust oder Ärger zurück, entweder bei sich selbst und/oder bei seinen Mitmenschen.
    Eine Therapie kann hilfreich sein, um Strategien zu finden, in einer (Arbeits-)Welt zu funktionieren, welche primär für Menschen ohne ADHS gemacht ist. Ziel der Therapie ist nicht, die ADHS Symptome zu heilen, sondern diese besser kennenzulernen und einen Weg zu finden, die positiven Eigenschaften des ADHS zu nutzen und mit den negativen Aspekten umgehen zu lernen.
    Mögliche Ziele dabei können sein:
    Ressourcen erkennen und nutzen lernen, üben bei Bedarf rechtzeitig Hilfe zu holen, achtsam und bewusst mit der vorhandenen Energie umgehen, Prioritäten setzen, positiver Umgang mit sich selbst, förderliche Arbeitsbedingungen kennenlernen und umsetzen.

  • Herr Brunner hat vor einigen Jahren die Diagnose Parkinson erhalten und wohnt seit sechs Monaten in einem Altersheim. Er benötigt bei mehreren alltäglichen Verrichtungen Hilfe, aber am meisten stört ihn, dass er nicht mehr selbständig essen kann, da seine Hände stark zittern. Die Ergotherapeutin behandelt Herrn Brunner direkt im Altersheim und bespricht mit ihm die Ess-Situation. Herr Brunner erhält daraufhin einen Rollstuhl-Tisch, so dass er das Essen in erreichbarer Nähe vor sich hat und er übt in der Therapie, mit Spezial-Besteck zu essen. Es gelingt ihm nach einigen Behandlungen immer besser, das vorgeschnittene Essen selbständig zum Mund zu führen. Herr Brunner erlangt damit einen grossen Teil Autonomie zurück und ist in einem für ihn wichtigen Alltagsbereich auf deutlich weniger Hilfe angewiesen.

  • Frau Lang erlitt vor zwei Jahren einen Schlaganfall. Nach einem längeren Reha-Aufenthalt wohnt sie heute wieder zu Hause mit ihrem Mann und den zwei Kindern im Schulalter. Ihre linke Körperseite ist seit dem Vorfall teilweise gelähmt. Sie kann ohne Hilfsmittel gehen, hat aber etwas Schwierigkeiten mit dem Gleichgewicht, wenn sie etwas tragen muss. Zudem sind beidhändige Tätigkeiten wie Geld aus dem Portemonnaie holen mit viel Zeitaufwand verbunden. Das Einkaufen bedeutet der Klientin viel, sie kann so wieder aktiv einen Teil der Versorgung für die Familie übernehmen. Ihr Ziel ist es, in der Ergotherapie Strategien zu erarbeiten, wie der Einkauf für sie wieder einfacher zu bewältigen ist. Zusammen mit der Therapeutin erledigt sie ihren Wocheneinkauf und gemeinsam wird danach ermittelt, durch welche Anpassungen Frau Lang ihr Ziel erreichen kann. Sie plant nun ihre Einkäufe im Voraus und besorgt jeweils nur wenige Produkte auf einmal. Dafür benützt sie statt eines Einkaufskorbs den Einkaufswagen, um Gleichgewichtsprobleme zu vermeiden. Den Einkauf trägt sie in einem Rucksack nach Hause, so kann sie das Gewicht symmetrisch verteilen und fühlt sich beim Gehen sicher.
    In der Ergotherapie werden zudem das Einpacken der Produkte in den Rucksack sowie das Ein- u. Ausräumen von Kleingeld trainiert.

  • Herr Burkard erlitt vor einigen Monaten ein Burnout und trat vor Kurzem aus dem stationären Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik aus. Er ist noch krankgeschrieben und kann halbtags die Behandlung in einer Tagesklinik weiterführen. Er merkt, dass ihm die arbeitsfreien Nachmittage zu Hause grosse Mühe bereiten. Er hat viele Ideen und Vorsätze, möchte sich zum einen aber nicht zu viel zumuten und schafft es zum anderen nicht, sich zu Aktivitäten aufzuraffen. In der Ergotherapie wird analysiert, welchen Betätigungen Herr Burkard sich gerne wieder widmen möchte (Haushalt erledigen, Freunde treffen, Fussball spielen). Dann wird eine Wochenplanung erstellt, mit der Aktivitäten und Termine schrittweise geplant werden. Es wird darauf geachtet, dass es Herrn Burkard gelingt, ein Gleichgewicht zu finden zwischen erholsamen und anstrengenden Aktivitäten. Mit der Zeit schafft es Herr Burkard, selbständig eine realistische Wochenplanung zu erstellen und diese im Alltag umzusetzen.

  • Frau Meier ist mit ihrem E-Bike seitlich umgekippt und hat sich dabei den rechten Unterarm gebrochen (Radiusfraktur). Nach der Erstversorgung im Spital, bei welcher zur Stabilisation eine Metallplatte in den Unterarm eingesetzt wurde, muss Frau Meier ihren Arm für 2 Wochen in einer Gipsschale ruhigstellen. In der Ergotherapie werden ihr für diese Zeit Übungen für die Finger und die Schulterbeweglichkeit gezeigt und sie wird instruiert, den Arm regelmässig hochzulagern oder mit einem Linsensäckli zu kühlen,
    um die Schwellung im Arm zu reduzieren.
    Nach der Fadenentfernung beim behandelnden Arzt (in der Regeln nach 2 Wochen), gibt es eine Instruktion, wie die Haut und die Narbe zu pflegen und zu massieren ist. Frau Meier darf für weitere 4 Wochen nur Bewegungen ohne Kraft und Widerstand machen, welche ihr die Ergotherapeutin zeigt. Für die Bewältigung ihres Haushaltes ist sie in dieser Zeit auf viel Unterstützung ihres Ehemannes angewiesen. Sobald die Nachkontrolle im Spital erfolgt ist (ca 6 Wochen nach OP), darf Frau M. leichte Kraftübungen mit Knetmasse machen und ihre Hand im Alltag zunehmend mehr einsetzen. Mittels einem Fragebogen über die Alltagsbewältigung wird klar, dass Frau Meier noch zu wenig Kraft hat, um die Betten zu machen oder um sich ein Stück Brot abzuschneiden, auch spürt sie Schmerzen wenn sie ihren Enkel zur Begrüssung hoch heben möchte. Zusammen mit der Ergotherapeutin überlegt sie sich Strategien, wie diese Aktivitäten vorübergehend vereinfacht werden können oder ob es ein passendes Hilfsmittel gibt. Auch erhält sie Tipps wie sie ihr Handgelenk ergonomisch im Alltag einsetzen kann um weitere Belastungen zu minimieren.

Ergotherapeutische Abklärung:
Ist auf der ärztlichen Verordnung «Abklärung»
markiert, finanziert die Krankenkasse zwei
Einheiten Ergotherapie zum Zweck der Klärung
des Therapiebedarfs, ohne dass ein Antrag auf
Kostengutsprache gestellt werden muss.